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Das Entenrennen

Mira hieß die kleine Ente, die am Straßenrand vor einem Zebrastreifen saß. Sie wusste genau, wann sie hinüberwatscheln durfte: wenn alle Autos von beiden Seiten stehen blieben. Das funktionierte tatsächlich. Mira war es ein Rätsel, dass die Autos hier anhielten, damit sie über die Straße gehen konnte. Und den Autofahrern war Mira ein Rätsel, weil sie brav wartete. Als Ente. Unglaublich! So bestaunten sich Mensch und Tier gegenseitig.

Mira besuchte jeden Tag eine Entenschar auf der anderen Seite der Stadt. Sie fand es spannend, nicht immer nur mit den gleichen Enten zu spielen. Nein, Mira hatte auch Freunde im anderen Teich. Und heute hatte sie eine geniale Idee, die sie nun vorbringen wollte. Mal schauen, was die anderen davon halten würden. Fröhlich watschelte sie drauflos. Der Zebrastreifen war immer das Highlight.

Am anderen Teich wurde sie mit großem Hallo begrüßt. Mira trommelte die ganze Schar zusammen. „Hey, ihr alle!“, rief sie. „Ich hab ne tolle geniale Idee.“ Aufgeregt flatterte sie mit den Flügeln. Nun wurden die anderen neugierig und kamen näher. „Was haltet ihr von einem Fest?“ – „Ein Fest?“ Dora, die größte Ente, legte den Kopf schief und sah Mia fragend an. „Ja, ein Fest. Mit den Enten vom Teich drüben auf der anderen Seite der Stadt.“ – „Nee, nee“, wetterte nun gleich Pius dagegen, ein Enterich, der gerne den Anführer spielte. „Warum nicht?“, rief eine andere Ente dazwischen. „Weil ich das eben nicht will!“ Missmutig schwamm Pius einfach davon. „Nanu, was ist denn mit dem los?“, wollte Mira wissen. Aber auch die anderen Enten schauten ratlos drein. Dora wollte auch noch ein Wörtchen mitreden. „Also nur weil Pius dagegen ist, heißt das noch lange nicht, dass wir das auch nicht wollen. Oder was denkt ihr?“ Nun quakten alle Enten durcheinander, sodass keiner wirklich etwas verstehen konnte. „Wir stimmen ab“, rief Mia dazwischen. Auf einen Schlag waren alle ruhig. „Wer hat Lust auf ein großes Fest mit den Enten vom anderen Teich?“ Fast alle Enten flatterten aufgeregt mit den Flügeln, um ihre Zustimmung zu zeigen. Pius beobachtete das Treiben von Weitem und eindeutig schlecht gelaunt. Aber es half nichts, die Enten hatten entschieden. Das Fest sollte stattfinden.

So watschelte am nächsten Tag die ganze Entenschar durch die Stadt. Schön brav über den Zebrastreifen. Die Menschen machten Fotos und guckten, als ob sie noch nie zuvor Enten gesehen hätten. Als wären die Tiere außerirdische Wesen oder so was Ähnliches. So wirklich verstand das zwar keine der Enten, aber das war auch egal. Hauptsache, sie hatten ein tolles Fest.

Am sie am Teich ankamen, warteten die anderen schon. Das waren eine Menge Enten auf einem Fleck. Plötzlich kam Pius angeflattert. Er plusterte sich auf und rief mit kräftiger, befehlender Stimme: „Dass ihr es alle wisst, wir sind die schnelleren Enten! Wir können viel besser schwimmen als ihr. Und genau deshalb passen wir alle nicht zusammen und dieses Fest ist eine blöde Idee.“ Damit wirbelte Pius alle durcheinander, denn nun begannen die Enten zu streiten. Mira schaute dem Treiben entsetzt zu, dann wurde es ihr zu bunt. „Hallo, alle mal zuhören! So geht das nicht! Pius, wie kommst du darauf, dass wir Enten hier langsamer sind? Und was spielt das überhaupt für eine Rolle? Wir können trotzdem ein Fest veranstalten.“ Pius wandte sich verärgert ab.

Was war nur los mit ihm? Dora ging Pius nach und nahm ihn beiseite. „Pius, das ist nicht in Ordnung, was du hier treibst. Alle Enten waren friedlich und nun bringst du alles durcheinander mit deiner schlechten Laune. Also, rede mit mir!“ – „Ach, lass mich doch in Ruhe“, erwiderte Pius gereizt. „Nein, das tue ich nicht. Also …?“ Pius zögerte, doch dann sprudelte es aus ihm heraus. „Vor Jahren hab ich zwei der Enten hier getroffen, die haben mich geärgert. Sie behaupteten, dass sie die schnellsten Enten der Welt seien. Und außerdem haben sie mich mit Sand weggejagt. Deshalb mag ich die alle hier nicht.“ – „Nur weil es zwei geschafft haben, dich zu ärgern, magst du keine der Enten hier? Du kannst doch nicht alle in eine Schublade stecken deswegen. Komm, das klären wir.“ Dora zog den widerstrebenden Pius hinter sich her. Am Teich zeigte er ihr die beiden Enten, die ihn vor langer Zeit geärgert hatten. Die hatten den Vorfall schon fast vergessen, doch Dora schaffte es, dass sie sich bei Pius entschuldigten, und sie erklärten ihm, dass es nicht so böse gemeint gewesen sei. Pius war überrascht, dass die beiden so freundlich zu ihm waren. Offenbar hatte er sich geirrt.

Als Mira das mitbekam, hatte sie schon die nächste Idee. „Wie wäre es, wenn wir aus eurem damaligen Streit, der ja schon viel zu lange zurückliegt, einen Wettbewerb machen? Wer ist die schnellste Ente in der Stadt?“ Alle waren hellauf begeistert. Das Entenfest konnte beginnen – mit einem Wettschwimmen auf dem Fluss. Das würde ein Riesenspaß werden.

Eine große Entenschar versammelte sich oberhalb des Flusses unter einer Brücke. Dora gab das Startzeichen, indem sie kräftig quakte und flatterte und „Los geht’s!“ schrie. Sofort begannen alle Enten den Fluss hinunterzuschwimmen. Unten am Ziel warteten gespannt Mira und Pius. Schon bald kamen die Schnellsten um die Ecke geschwommen, doch dann traf ganz unerwartet eine Ente mit weitem Vorsprung im Ziel ein. Stopp! Mira war irritiert. „Wer bist denn du?“ – „Ich bin vom Teich etwas außerhalb. Ich konnte nicht widerstehen, hier mitzumachen.“

Mira und Pius sahen sich an und lachten gleichzeitig los. Die hatte sich hier einfach unbemerkt eingeschlichen! „Was machen wir denn jetzt?“ Pius sah Mira fragend an. „Wenn sich hier aus lauter Begeisterung schon fremde Enten einschleichen, dann gibt es das Entenrennen im nächsten Jahr eben noch einmal und noch größer“, schlug Mira vor. Damit gab es einen Gewinner, wenn auch aus einer anderen Gruppe. Es war auch eine Ente, und das allein zählte.

Veröffentlicht am: 
11/5/2018
Autor:
Antje Wäschle